Christopher Street Day

Der Christopher Street Day (CSD) vor einer Woche war eine ziemlich nasse Angelegenheit. Das schien den Teilnehmenden aber nicht viel ausgemacht zu haben: Am Umzug (90 Festwagen und 200 Fußgruppen) waren 60.000 Menschen beteiligt, und am Weg standen ungefähr eine Million Besucher, habe ich gelesen. Der CSD in Köln ist europaweit eine der größten Veranstaltungen dieser Art. Für mich ist das ja nichts, er erinnert doch sehr an Karneval im Sommer, allerdings ohne Kamelle und Karnevalsmusik. Die Musik, die lautstark gespielt wird, ist allerdings nicht viel besser, viel Techno-Musik und irgendwelche blöden Hits – „Geh ins Gymmie, werde skinny, mach daraus eine Show / Wir sind pretty im Bikini, das ist Bauch, Beine, Po“ und so weiter.

Aber wir haben das beim Spazierengehen nur am Rande wahrgenommen, man kann dem gut aus dem Weg gehen, und wenn die Beteiligten feiern wollen und Spaß daran haben – warum nicht. Die Schützenfeste haben ihre Umzüge, an Fronleichnam tragen katholische Christen auf Prozessionen Leichenteile durch die Straßen, Karneval belästigt die Einwohner über Monate, da ist es doch in Ordnung, wenn die LGBTQ-Gemeinde an einem Tag im Jahr mit Freude und Spaß für ihre Rechte demonstriert. Denn das ist dieser Umzug auch: Eine Demonstration, offensichtlich eine mit wachsender Notwendigkeit. Im Vergleich zum Vorjahr haben die Übergriffe auf queere Menschen 2024 deutschlandweit ungefähr um 50 Prozent zugenommen. Die Stimmung gegen Diversität hat weltweit zugenommen, nicht nur in autokratischen Staaten wie Rußland oder Ungarn. In den USA werden Gelder zur Diversitätsforschung unterschiedslos gestrichen und bestimmte Wörter im öffentlichen Bereich geächtet. Firmen, Behörden und Hochschulen, die sich diesem Diktum nicht beugen, müssen mit Nachteilen rechnen. Kölns größter Arbeitgeber, die Autofirma Ford, hat zum ersten Mal seit Jahren auf Geheiß der Mutterfirma in den USA seine Unterstützung des CSD gestrichen, und das ist kein Einzelfall, auch andere Firmen in Deutschland, die bisher CSD-Paraden unterstützten, wollen plötzlich nichts mehr damit zu haben.

Ein Tag nach dem CSD wurde in Köln-Kalk eine neue Gesamtschule unter katholischer Trägerschaft für 1.000 Schülerinnen und Schüler von Erzbischof Kardinal Woelki eröffnet. Im Vorfeld forderte die Schulleitung alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf, zu dieser Feierlichkeit auf „provokative Kleidung“ zu verzichten – als Beispiel wurde eine Krawatte in Regenbogen-Farben genannt (der Regenbogen ist ein Symbol für Freiheit, Diversität und Toleranz). Als sich das herumsprach, schmuggelten erzürnte Eltern Regenbogensymbole in die Schule, auf Ansteckern, Taschen und Fähnchen. Schülerinnen, die von Lehrern damit erwischt wurden, wurden aufgefordert, das unverzüglich zu entfernen, eine Regenbogenfahne, die aus einem Fenster hing, wurde nach einer Stunde entfernt, und eine Seelsorgerin, die Sticker mit dem Regenbogensymbol verteilte, wurde der Schule verwiesen. „Das Erzbistum Köln rühmt sich eines <<innovativen, ganzheitlichen Bildungsverständnisses – offen für Kinder aller sozialen und religiösen Hintergründe>>“, zitiert der Stadtanzeiger. Und Erzbischof Kardinal Woelki wünscht sich, „grade jenen Kindern Perspektiven zu eröffnen, die in unserer Gesellschaft oft übersehen werden. “ Und so gibt das Erzbistum allen Kindern, die im nächsten Schuljahr an der neuen Schule anfangen, eine Lehrstunde mit auf den Weg, wofür die Katholische Kirche schon immer stand: Eine Einführung in Heuchelei, Doppelmoral, Intoleranz und Kadavergehorsam.

Der CSD ist das natürlich auch: Ein gutes Geschäft. Wer noch ein schönes Souvenir braucht als Erinnerung, dem gefällt vielleicht eine dieser Figuren fürs Badezimmer.

Tina-Turner-Str.

Wenn es darum geht, Straßen umzubenennen, sind die Meinungen geteilt: Die Einen sind der Ansicht, wenn man eine Straße oder einen Platz nach einer Person benennt, ist das eine Ehrung. Wenn sich dann herausstellt, daß diese Person ein Lump war, muß der Straßenname selbstverständlich wieder geändert werden. In ganz Deutschland findet man beispielsweise keine Adolf-Hitler-Str. mehr. Die Anderen geben zu bedenken, daß ein Straßenname ein historisches Dokument ist und es quasi einer Geschichtsklitterung gleichkommt, alle naselang die Straßen einer Stadt nach Gusto umzubenennen und so zu tun, als sei schon immer alles in Ordnung gewesen. Einige sprechen in diesem Zusammenhang auch von einer Form von „cancel culture“. Stattdessen solle man strittige Namen kontextualisieren, das heißt, mit kleinen Zusatzschildern den Zusammenhang erklären, also um wen es sich handelt und weshalb man damals eine Straße nach der Person benannte.

In Köln gibt es inzwischen eine Fall-zu-Fall-Entscheidung: Ist ein Straßenname strittig, wird der Fall geprüft und eine Empfehlung ausgesprochen. So werden demnächst die Wißmanstr. und die Gravenreuthstr. umbenannt: Hermann von Wißmann und Karl von Gravenreuth waren Ende des 20. Jahrhunderts in Deutsch-Ostafrika während der kolonialen Eroberungszüge Deutschlands für zigtausende Morde an afrikanischen Einheimischen verantwortlich.

Daß die Richard-Wagner-Str. umbenannt wird, ist allerdings noch nicht amtlich, und es würde mich wundern, wenn es dazu käme. Der in Köln wohnende kanadische Musiker Chilly Gonzales hat den Anstoß dazu gegeben, eine von ihm gestartete Petition bekam über 15.000 Unterschriften. Es ist nicht die Musik Wagners, die Gonzales stört, sondern sein Antisemitismus. Wagner hat, noch relativ unbekannt, 1850 einen Aufsatz veröffentlicht: „Das Judenthum in der Musik“, in der er Juden grundsätzlich jede künstlerische Fähigkeit absprach. 19 Jahre später veröffentlichte er eine erweiterte Neuausgabe des Aufsatzes unter eigenem Namen. Ein Lump, gar keine Frage.

Und warum ausgerechnet Tina Turner? Die Sängerin hat neun Jahre in Köln gewohnt. Wagner hat zu Köln überhaupt gar keinen Bezug.

Chilly Gonzales ist hauptsächlich Pianist, versucht sich aber auch in anderen Genres, beispielsweise dem Rapgesang – nicht, weil er es gut kann, sondern weil er Lust dazu hat. So gibt es auch zu diesem Thema einen Song „F*ck Wagner“, den er mit dem Böhmermann-Orchester eingespielt hat und den man sich auf Youtube anhören kann. Mir geht er auf die Nerven, deswegen hier ein anderes Stück von einer seiner Soloplatten:

Neumarkt

Liebe Leute, kürzlich bin ich in Rente gegangen, habe also endlich Zeit im Überfluß. Deswegen geht es jetzt hier weiter – mal schauen, ob das überhaupt noch jemanden interessiert.

Kürzlich waren wir auf einer stadthistorischen Führung auf dem Neumarkt, es ging um die Veränderung der Randbebauung des Platzes durch die Jahrhunderte. Als die junge Führerin gefragt wurde, was denn das für eine Statue sei, die da vor dem Eingang des Kunsthauses Lempertz steht, hatte sie keine Ahnung. Ich hätte sofort einspringen können, aber verpasste den Augenblick. Ich habe es hier noch nicht erwähnt, aber ich bin eigentlich gelernter Kunsthistoriker, und während meiner Studienzeit habe ich mal eine kleine Hausarbeit über die Plastik geschrieben. Wir sollten uns irgendein Kunstwerk aus einem Kölner Museum aussuchen, und ich wählte die 110 cm hohe Replik der Statue, die damals im Wallraf-Richartz-Museum stand (und wohl auch noch immer steht).

Der Dargestellte ist der auch schon zu seinen Lebzeiten bekannte und beliebte französische Schriftsteller Honoré de Balzac (1799 – 1850). Er war erster Vorsitzender einer Schriftstellervereinigung, die Anfang der 1890er Jahre den Auftrag gab, eine Statue zu seinen Ehren aufzustellen. Die Wahl fiel schließlich auf den zu seiner Zeit nicht unumstrittenen Bildhauer Auguste Rodin (1840 – 1917), der versprach, das Werk zügig zu gestalten. Er gab sich viel Mühe, las erst das ganze Werk (die aus 91 Romanen bestehende „Comédie Humain“) und reiste an den Geburtsort des Schriftstellers. Nach mehreren Vorstudien …

… beispielsweise diese hier in vermutlich doch recht naturalistischer Ansicht (Foto aus Wikipedia), wurde die drei Meter hohe Endversion erst nach mehreren Jahren 1897 in Gips fertiggestellt – und von der Schriftstellervereinigung prompt abgelehnt. Rodin nahm das Modell wieder in sein Atelier. Erst 22 Jahre nach seinem Tod, also 1939, wurde ein Bronzeabguss gefertigt und an einer Pariser Straßenkreuzung aufgestellt. Rodin gilt inzwischen als einer der bedeutendsten Bildhauer der Vormoderne. Die Version, die jetzt in Köln steht, ist einer der wenigen Abgüsse des Originalabgusses.

Und was soll das, wieso steht die hier? Haben Balzac oder Rodin irgendeine Beziehung zu Köln, weshalb man sie hier besonders ehren möchte? Nein, nicht im Geringsten. Der Grund ist folgender: Der Neumarkt, das Herz Kölns, hat ein Drogenproblem. Der Platz und die Nebenstraßen sind Treffpunkt für Drogenabhängige und Dealer. Die bevorzugte Droge, die hier gehandelt wird, ist inzwischen Crack, nicht mehr, wie noch vor wenigen Jahren, Heroin. Die Wirkung von Crack ist nicht weniger verheerend als von Heroin, allerdings nach seiner Einnahme viel kürzer, weshalb die Süchtigen schnell wieder auf der Suche sind nach neuem erbetteltem Geld und neuen Deals. Die Leute sind völlig heruntergekommen, liegen verlottert und mit zum Teil offenen Wunden in Hauseingängen, auf dem Platz und in den Nebenstraßen – und liefern so natürlich keinen schönen Anblick, weder für die Einheimischen noch für die Touristen. Deshalb ist man bemüht, die Gegend aufzuwerten, die Aufenthaltsqualität soll sich bessern. Man hat also einen neuen Brunnen angelegt und auf dem Platz ein mobiles Café eröffnet. Und als weitere Aufwertungsmaßnahme hat man der Besitzerfamilie des Kunsthauses Lempertz bereits im Jahr 2022 erlaubt, diese Plastik aufzustellen, die sich in ihrem Besitz befindet. Soweit ich das beobachtet habe, zeigen sich die Drogenabhängigen und die Dealer davon gänzlich unbeeindruckt.

Die städtische Kommission, die alle zwei Jahre beurteilen soll, ob sich das Kunstwerk auch gut macht an dieser Stelle, kommt zu einem positiven Urteil, moniert lediglich, daß der Standort, da so am Rand halb versteckt, nicht optimal sei.

Dem kann ich nur zustimmen.

Hier folgt jetzt eine Abschrift meiner Hausarbeit aus dem Jahr 1992. Falls sie euch interessiert.

1. Beschreibung

Auguste Rodins (1840 – 1917) Denkmal für den Dichter Honoré de Balzac (1799 – 1850) ist im Wallraf-Richartz-Museum Köln als Bronzeguß der Endfassungsstudie mit einer Höhe von 110 cm zu besichtigen. Die Standfigur steht auf einer quadratischen Sockelplatte. Der Dichter ist in einem kuttenähnlichen Mantel dargestellt, der fast den ganzen Köper bedeckt; die Ärmel hängen leer an den Seiten herab, die Arme scheinen ausgestreckt unter dem Mantel gekreuzt zu sein und vor der Mitte des Körpers die Mantelöffnung zuzuhalten.

Da der Mantelsaum den Boden berührt und nur Teile der Füße freiläßt, die durch ihre Stellung einen Schritt nach links andeuten, entstehen sich nach oben bis zu den Schultern verbreiternde Umrißlinien, die von der pyramidalen Kopfform zusammengeführt werden. Im unteren Bereich fällt der Mantel in zum Teil weichen Kurvenfalten um die erahnbaren, einen Keil bildenden Beine, wird aber nach links durch die hart modellierte und ein wenig freistehende Kante der Mantelöffnung abgeschlossen, die einen Ausgleich zu der etwas schräg nach hinten gebeugten Gestalt bildet.

Die Kantenlinie verläuft schräg nach oben zur rechten Schulter, ab ca. der Mitte des Köpers, wo sie sich mit der Kante des komplementären Mantelteils kreuzt, in den Kragen übergehend, der durch einen scharfen Knick leicht absteht.

Die vertikalen Linien des Gewandes werden ab der Körpermitte durch die angedeutete Haltung der Arme und durch die einen dreieckigen Halsausschnitt freilassenden Hemd- und Mantelkragen in einer Gabelung zu den leicht angespannten, hochgezogenen Schultern geführt.

Der hohe Mantelkragen, der auf der Rückseite der Figur fast bis zur Mitte des Hinterkopfes reicht, scheint an einigen Stellen mit den langen Haaren zu verfließen. Der Kopf ist nach links gedreht und leicht nach hinten geworfen. Das wirre, zum Teil blockhafte, die Verdichtung der Mantelstruktur aufnehmende Haar bildet über der linken Stirnseite einen Wirbel, der einen Teil der Stirn freigibt und die Haare strähnig nach vorn und zur Seite leitet. Stark hervorspringende, auf die Nasenwurzel hin angeschrägte Stirnwülste und gratige Augenbrauen „überdachen“ tiefliegende Augenhöhlen. Unter der kantigen Nase sind geschwungener Oberlippenbart, wulstiger Mund und geformtes Kinn. Wangen und – sofern man davon überhaupt reden kann – Hals sind eine voluminöse, teigige und zerklüftete Masse.

Die scharfen Kanten der Falten besonders des rechten Ärmels unterstützen den vertikalen, nach oben strebenden, gespannten Charakter der ganzen Gestalt.

Die raue, unebene, zum Teil zerklüftete Oberfläche und die scharfkantigen Falten und Linien, die abrupte Wechsel von Höhen und Tiefen an der Oberfläche verursachen, schaffen einen sehr reichhaltigen Wechsel von Licht- und Schattenzonen, die sich bei sich ändernder Beleuchtung, bzw. beim Herumgehen um die Plastik ebenfalls beständig ändern. Aufgrund dieser malerischen Behandlung spricht man von einer impressionistischen Plastik.

Der Bronzeguß ist die Nr. 11 einer auf zwölf Exemplare begrenzten Auflage von 1961 und wurde 1962 dem Wallraf-Richartz-Museum geschenkt.

2. Deutungsansatz

Die Plastik zeichnet sich aus durch harmonisch zueinander gestellte Gegensätze, deren Spannungen sich dem Betrachter mitteilen: Die unruhige, reichhaltige Licht- und Schattenwechsel produzierende, malerisch gestaltete Oberfläche ist gegensätzlich zur blockhaften, wuchtigen Geschlossenheit der Gestalt. Die gespannte Beugung nach hinten, der verhaltene Schritt, die Drehung des Kopfes und das angespannte Vorziehen der Schultern stehen in ihrer Andeutung des Momenthaften im Kontrast zur felshaften Schwere, die die Haltung zugleich majestätisch, nachdenklich und souverän erscheinen läßt.

Rodin selbst sagt zu seiner Arbeitsweise: „Er (der Bildhauer) muß die geistige Ähnlichkeit zum Ausdruck bringen können, darauf kommt es allein an. Der Bildhauer muß hinter der Ähnlichkeit der Maske die der Seele suchen. Kurz, alle Züge müssen ‚ausdrucksvoll‘ sein, das heißt, sie müssen helfen, seelisches Leben anschaulich zu machen.“

Wir müssen uns also, nach Rodin, Balzac als eine der Persönlichkeiten vorstellen, deren vermutete innere Zerissenheit, verbunden mit außerordentlicher Schöpfungskraft zu jener Vorstellung von Genialität führt, die schon seit einigen Jahrhunderten und auch heute noch vorherrschend ist. Tatsächlich entspricht dies dem Bild eines Zeitgenossen Balzacs: „Sein Äußeres war so ungepflegt wie sein Genie. Er war eine Elementargestalt: großer Kopf, wirres Haar, das auf Kragen und Wangen fiel wie eine Mähne, die niemals von einer Schere gelichtet wurde, stumpfe Züge, dicke Lippen, ein sanfter, doch feuriger Blick … Er war dick, schwer, breit an der Basis und breitschultrig: Hals, Brust, Leib, Schenkel, Gliedmaßen waren mächtig. Ausladend (…), doch ohne jede Schwerfälligkeit: die Seele war so groß, daß sie all das leicht, heiter, wie eine weiche Hülle trug.“ (Alphonse de Lemartine)

Angesichts der Schwierigkeiten, die Rodin Zeit seines Lebens mit dem Ringen um neue Formen und Inhalte und der entsprechend mangelnden öffentlichen Anerkennung seines Werkes hatte, halte ich die folgende Annahme, die immer wieder in der Literatur über Rodin auftaucht, für wahrscheinlich: Rodin habe sich während seiner Arbeit an dem Denkmal immer mehr mit Balzac identifiziert. Stimmt diese Vermutung, so kann man die Plastik hinsichtlich des ja darzustellenden Wesens auch als geistiges Selbstbildnis bewerten.

3. Werkgenese / Rezeption

Im Jahre 1885 schrieb die „Société des Gens de Lettres“ einen Wettbewerb für ein Grabmal ihres ersten Präsidenten, Honoré de Balzac (1799 – 1850), aus. Den Zuschlag erhielt der Bildhauer Chapu, der vor Vollendung des Werkes 1891 starb. Der Wettbewerb wurde erneut ausgeschrieben und der Auftrag unter besonderem Einsatz des Präsidenten der „Société“, Emile Zola“, Rodin erteilt.

Rodin machte bis zur vorliegenden Endfassung ca. fünfzig plastische Studien für Kopf, Akt- und Gewandgestalt nach sämtlich erreichbaren Bildnissen Balzacs und nach Modellen, deren jeweilige Figur der des Dichters ähnelte. Darüber hinaus studierte er nicht nur sein Werk und Leben, er ging sogar so weit, bei dessen Schneider einen Umhang in Balzacs Maßen anfertigen zu lassen. Eine besondere Schwierigkeit erwuchs vor allem daraus, daß des Dichters unförmiges Erscheinungsbild allem klassischen Regelmaß widersprach, weshalb er bisher fast nur in Sitzhaltung dargestellt worden war.

Das Modell der Endfassung in Gips (das Vorlage der hier besprochenen Plastik ist) wurde 1898 im „Salon Nationale des Artistes“ ausgestellt und von der „Société“ abgelehnt.

Das große, 300 cm hohe Gipsdenkmal steht im Musée Rodin in Paris. Erst 1939 wurde ein 300 cm großer Bronzeguß in Paris an der Kreuzung Boulevard Raspail / Boulevard Montmartre aufgestellt.

Die Ablehnung der „Société des Gens de Lettre“ begleitete eine Pressefehde, die Rodin schließlich enttäuscht veranlaßte, nicht auf Einhaltung seines Vertrages zu bestehen. So zog er zurück, was er selbst für eins seiner besten Werke hielt.

Dem Publikum war das Werk zu unähnlich, unfertig, unausgearbeitet. Man bemängelte allgemein das Fehlen zeitgenössischer Kleidung, bezeichnete den Dominikanermantel (in einem solchen pflegt Balzac nachweislich zu arbeiten) als „Sack“, der des großen Dichters nicht würdig sei.

Kleine Wahlhilfe

(Zum Vergrößern aufs Bild klicken)

Zur Zeit werden viele Wahlsendungen im TV gezeigt, man kann sich kaum davor retten. Einerseits sind die Politiker zu bewundern, wie sie da fast jeden Abend in immer neuen Talkformaten immer wieder das selbe mit möglichst überzeugter Mimik und überzeugenden Argumenten versuchen, ihre Anliegen dem Publikum schmackhaft zu machen. Andererseits erzeugen sie damit einen Überdruß, daß man am liebsten gar nichts mehr damit zu tun haben möchte.

Viel wird über Migration gesprochen, wenig über andere Themen, das Klima scheint kein Problem mehr zu sein (wenn es sich so entwickelt, wie von der Wissenschaft prognostiziert, wird das einen Migrationsdruck erzeugen, der so groß ist, daß die heutigen Migrationsprobleme uns wie ein Kinderspiel erscheinen werden, aber egal, das wird ja jetzt nicht bis zum 23.02. passieren), und Inflation, Mietenwucher und steigendes Armutsrisiko – diese Entwicklungen werden sich von selbst erledigen, wenn man nur das jeweilige Wirtschaftsprogramm durchsetzt.

Die Süddeutsche Zeitung hat sich (am 18./19.01.25) mal die Programme der Parteien daraufhin durchgesehen, mit welchen Steuergeschenken die verschiedenen Einkommensgruppen rechnen können, und die Diagramme oben erstellt. Ich will niemanden beeinflussen bei seiner Wahlentscheidung, aber wer immer noch nicht weiß, welcher Partei er nun seine Stimme geben soll, kann sich hier zumindest ein kleines bißchen orientieren.

Wer beispielsweise möchte, daß die Leute, die unter 1.000 Euro im Monat haben, weniger als vorher erhalten sollen, der muß FDP wählen. Das sind ja wahrscheinlich die Leute, von denen der Kabarettist Dieter Nuhr neulich (völlig ironiefrei) in seiner Sendung sprach, als er meinte, Kinderarmut gebe es eigentlich nicht, die vermeintliche Armut der Kinder sei das Resultat der Unfähigkeit von Eltern, mit Geld umgehen zu können. Und denen jetzt noch zusätzliches Geld zu geben … sowas Doofes kann auch nur den Grünen einfallen. Also: Geld streichen. Im Durchschnitt 290 Euro im Jahr. Die AfD ist da etwas moderater, sie würde diesem Personenkreis sogar zusätzliches Geld geben: 2 Euro! Im Jahr, versteht sich.

Wer dagegen glaubt, die wahren Leistungsträger unserer Gesellschaft, also die, die Vermögen geerbt haben oder als Manager so gute Arbeit geleistet haben, daß zum Beispiel deutsche Autos weltweit am meisten gekauft werden …also, wurden, meine ich, und die vielleicht ein monatliches Einkommen zwischen 12.500 und 20.000 Euro haben, sollten noch mit knapp 10 % zusätzlich belohnt werden – der muß auch FDP wählen. Oder AfD oder CDU/CSU, bei denen hat das Plus allerdings eine etwas geringerer Höhe.

Liebe Leute, geht wählen! Ich hoffe, ich konnte behilflich sein.

Spaziergänge (und Rosenmontag) in Zeiten von Corona (16)

Seit ungefähr 25 Jahren fliehe ich zur Karnevalszeit aus Köln, und das hätte ich auch in diesem Jahr getan, wenn es nicht noch im Dezember gehießen hätte, daß alle Festivitäten auch in der diesjährigen Session wegen Corona ausfallen würden. Und nun finde ich mich mitten in der „Brauchtumszone“ und muß sechs Tage Feierei überstehen. Gut, es gibt Schlimmeres, viel Schlimmeres, man braucht ja nur den Fernseher anzumachen, also will ich nicht meckern. Der Rosenmontagszug sollte ja erst, wie ich bereits erzählt habe, durch das Müngersdorfer Stadion ziehen, wurde dann aber wegen des Ukraine-Krieges abgesagt. Stattdessen fand heute eine Antikriegsdemonstration statt, teilweise auf dem ursprünglich geplanten Zugweg durch die Stadt, 250.000 Menschen sollen mitgemacht haben. Ich war in der Stadt und habe ein paar Eindrücke gesammelt.

Oben auf dem Schild steht übrigens „Make FasteLOVEend not war“ – Fastelovend ist kölsch und bedeutet Fastnacht.

Eine Auswahl der Mottowagen, die normalerweise im Rosenmontagszug durch die Gegend gezogen werden – oben drauf stehen dann enthemmte Karnevalisten und schmeißen harte Gegenstände in die Menge – , stehen über die Innenstadt verteilt auf Plätzen. Gar nicht schlecht, ich habe sie mir gern angesehen. So sollten sie das immer machen, und wenn sie dann noch, wie in diesem Jahr, auf die elende Karnevalsmusik verzichten … aber damit ist kaum zu rechnen.

„Zick eröm“ heißt: Die Zeit ist um. Die Uniform ist abgelegt, die Personalie ist neu besetzt und übt noch.

Die selbe Partei – anderes Personal. Der arme Armin, an dessen Untergang …

… dieser Herr aus dem süddeutschen Freistaat nicht ganz unschuldig ist.

Der zur Zeit meistgehaßte Politiker versucht mit Gewalt, die Welt nach eigenen Vorstellungen zusammenzuzimmern. Die Darstellung ist ein wenig verharmlosend, die Figur müßte mit Blut besudelt sein.

Apropos Putin: Wer sich über die geschichtlichen Hintergründe seiner Politik informieren will, sollte sich die französische Dokumentation „Putin – Die Rückkehr des russischen Bären“ von 2021 in der ARTE-Mediathek ansehen, es lohnt sich.

Rote Funken, so heißt eine Karnevalsgesellschaft, hier habe ich schon mal eine lustige Geschichte über sie erzählt.

Wer plötzlich Hunger kriegt – die Mästlokale sind nicht weit, hinten rechts.

Fußballweltmeisterschaft im Winter, weil die FIFA sich von dem autoritären Regime in Katar hat schmieren lassen, wie es heißt.

Es gibt einen schönen Pokal zu gewinnen.

„Zeit der Aufklärung“ lautet hier das Motto. Der Kölner Erzbischof Kardinal Meisner führte einen Aktenordner mit der Beschriftung „Brüder im Nebel“, in dem er die Akten mit den ihm gemeldeten Mißbrauchsfällen versteckte. Sein Nachfolger Kardinal Woelki versprach eine lückenlose Aufklärung …

… gab dann aber ein Gutachten, das er selbst beauftragt hatte, nicht frei. Der Fall wurde von zwei aus Rom geschickten „Visitatoren“ untersucht, und zur Strafe wegen seiner Verwicklungen wurde Woelki für fünf Monate in Urlaub geschickt. Können die mich vielleicht auch mal bestrafen? Aschermittwoch soll er wieder zurückkommen, allerdings will ihn hier keiner mehr haben, nichtmal seine eigenen Kollegen und Mitarbeiter.

Arm her!

Die wirtschaftliche Weltmacht, die nur darauf wartet, Putin unter die Arme greifen zu können – um ihn dadurch von sich abhängig zu machen.

Kölner Lokalpolitik. Allerdings sind die Verwaltungen in anderen Großstädten vermutlich auch nicht besser.

Lukaschenko mit Putin im Nacken, der die Strippen zieht – bereits überholt, Putin hat sich inzwischen unverblümt als Täter gezeigt, die „Zeitbombe“ ist schon hochgegangen.

Zum Schluß mal etwas Positives. Meine Begleiterin fragte neulich: Wenn die Leute mehr kiffen und weniger saufen, ob die Feierei dann wohl leiser wird? Also weniger Gegröhle, weniger Dreck in den Straßen, mehr Besinnlichkeit? Kann sein, die Blase entlastet diese Droge auf jeden Fall.

Spaziergänge (und Karneval) in Zeiten von Corona (15)

Jeck mit großem G? Gar kein Problem, sagt der Kölner Karnevalist, Gesoffen, Gekotzt, in Hauseingänge Gepißt und Gekackt haben wir schon immer. Was wollt ihr noch, Gröhlen und Greischen vielleicht? Machen wir!

Ihr erinnert Euch vielleicht, die Bilder vom Kölner Karnevalsauftakt im November gingen ja um die ganze Welt. Die Feierhotspots waren zwar abgesperrt und nur mit Kontrollen zu betreten, aber es reichte völlig aus, den Kontrolleuren irgendeinen QR-Code auf dem Smartphone zu zeigen, schon war man drin – eventuell mit der ganzen Virenlast in Nase und Rachen, von der man noch nicht einmal selbst gewußt hat.
Die ganze Welt schüttelte den Kopf über soviel Unvernunft. Tatsächlich stellte man zehn Tage später eine Erhöhung des Inzidenzwertes fest, allerdings war sie nicht höher als im Bundesdurchschnitt. Na siehste! – sagen die Einen, alles völlig ungefährlich, wir haben das im Griff. Glück gehabt, sage ich, das hätte auch anders ausgehen können, das war wieder mal ein Menschenversuch mit dummen Freiwilligen, und daß der gut ausging, hatte man nicht vorhersehen können.

In der Folge wurden alle Karnevalsveranstaltungen abgesagt: Kein Sitzungskarneval, keine Umzüge, kein Straßenkarneval. Prima, dachte man in der Düsseldorfer Staatskanzlei, wenn kein Karneval stattfindet, gibt es kein Brauchtum und also auch keinen Grund für Brauchtumsfeiertage. Im letzten Jahr war das noch anders, trotz Corona (für alle, die nicht aus NRW kommen: Der Öffentliche Dienst hat in der Regel Weiberfastnacht ab 11.11 Uhr und den gesamten Rosenmontag frei, um sich zu besaufen). Zu verantworten hat die Aufhebung ein Herr Wüst. Kennt ihr den? So heißt unser neuer Ministerpräsident, der den „Armen Armin“ abgelöst hat.

Herr Wüst ist das erste Mal 2010 aufgefallen, als er unter Ministerpräsident Rüttgers CDU-Generalsekretär war. Die NRW-CDU bot Gesprächstermine mit Herrn Rüttgers gegen Geld an, wer also über entsprechende finanzielle Mittel verfügte, konnte Lobby-Arbeit gleich direkt beim obersten Amtschef machen. Als diese skandalösen Machenschaften aufflogen, wer wurde dafür zur Verantwortung gezogen? Man sollte meinen, verantwortlich dafür war Herr Rüttgers selbst, zumindest politisch verantwortlich, aber der wies das weit von sich. Und natürlich schmeißt man nicht den eigenen Ministerpräsidenten aus seinem Amt, was, wenn das Schule macht, das sieht nicht gut aus für die Partei, also muß irgendein anderer dafür büßen, irgendjemand auf einem hohen Posten, der aber als Person so unbedeutend ist, daß man gut auf ihn verzichten kann. So kam man auf Herrn Wüst, der daraufhin seinen Hut (als Generalsekretär) nahm.

Ich könnte mir vorstellen, daß man ihm damals ein paar Versprechungen gemacht hat („Wenn Du die Schuld auf Dich nimmst, soll das später Dein Schaden nicht sein …“), denn nach sieben Jahren wurde er unter dem überraschenden und überraschten Sieger der Landtagswahlen Armin Laschet als Verkehrsminister vereidigt, zu dessen ersten Amtshandlungen die Streichung des Sozialtickets zählte. Was sollen Arbeitslose, Rentner und andere finanziell Schlechtgestellte mit Öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Gegend gondeln, wenn sie genausogut zu Fuß gehen können, das ist gesund für Herz und Kreislauf, mag er gedacht haben – oder er hat überhaupt nicht gedacht. Technokraten entscheiden nach Effizienzkriterien, und wenn man vor der Wahl steht: Autobahnausbau oder irgendein sozialer Sumpf, dann entscheidet man sich für die Autobahn, gar keine Frage. Erst nach Protesten mußte er die Anweisung zurücknehmen.

Daß er nun, als Ministerpräsident, die freien Tage zur Pflege des Brauchtums streicht, zeigt entweder, daß er keine Ahnung hat von der rheinischen Seele, oder – was wahrscheinlicher ist für einen Technokraten – daß sie ihm egal ist. Natürlich feiert der Rheinländer Karneval, egal, unter welchen Umständen, und wenn er sich ganz allein, mit einem albernen Hütchen auf den Kopf, zu Hause vor den Fernseher setzt, um zum unvermeidlichen Karnevalsgeplärre des WDR-Programms zu „schunkele“. „Nää, wat is dat schöön …“. Herr Wüst muß sich in diesem Jahr einer Landtagswahl stellen – ich könnte mir vorstellen, daß er die entscheidenden Stimmen gerade verspielt hat.

Zurück zu Köln: Inzwischen hat die Omikron-Variante die Herrschaft übernommen, viel ansteckender, aber nicht mehr so tödlich wie die Delta-Variante, die zwar noch nicht weg ist, aber der Einfachheit halber spricht man nicht mehr von ihr. Überall wird der Ruf nach Lockerungen laut, könnte man da nicht vielleicht … hier bei uns … gedacht – getan! Vor ein paar Tagen erklärte die Stadtverwaltung das gesamte Stadtgebiet ab Donnerstag bis Karnevalsdienstag zu einer „Brauchtumszone“: Es darf überall gefeiert werden, aber nur unter hohen Auflagen: Man muß genesen oder geimpft sein und außerdem einen tagesaktuellen Schnelltest mit sich führen. An den sogenannten Hotspots, also in der Altstadt und im Studentenviertel, gibt es Kontrollen zu umzäunten Bereichen, in der übrigen Stadt werden Stichprobenkontrollen durchgeführt, sobald man sich verdächtig macht, zu den Feiernden zu gehören: Wer ohne Schnelltest mit einem Bier vor einer Kneipe steht, muß, wenn er erwischt wird, eine saftige Strafe bezahlen. Wer, wie ich vielleicht, nur einkaufen oder spazieren geht, sollte das zügig machen und unverkleidet aussehen – ich hoffe, es ist nicht zu kalt, sonst wird die rote Nase ein Problem.

Auch der eigentlich abgesagte Rosenmontagszug findet nun doch statt, aber nicht auf dem angestammten Zugweg kreuz und quer durch die Stadt, sondern – man lese und staune – durch das Stadion in Köln-Müngersdorf. Da sitzen und stehen dann also ein paar tausend Jecken auf den Rängen und schreien und singen und saufen und was man sonst noch macht zu so einem Anlaß, während unten ums Spielfeld die Karnevalswagen ihre Runden drehen. Ob auch Kamelle (Bonbons aus Industriezucker) ins Publikum geworfen werden, weiß ich nicht. Dieser Irrsinn hat aber auch eine gute Seite: Da meine Arbeitsstätte gleich neben dem Stadion liegt, wollen meine obersten Vorgesetzten vor Ort es nicht verantworten, daß wir Angestellten uns dem Massenauflauf aussetzen müssen, und schließen den Betrieb nun doch.

Tja, Herr Wüst, ein Satz mit x …

Meine Stimme kriegt er sowieso nicht.

Edit 24.02.: Der Rosenmontagszug durchs Stadion wurde wegen des Ukraine-Krieges abgesagt.

Der arme Armin

Gemein, wie nun alle auf den gescheiterten Kanzlerkandidaten Laschet einschlagen: Gerade erst haben sie ihn zum Vorsitzenden gewählt, auf daß er die Partei zu neuen Erfolgen trage und als strahlender Held das Kanzleramt beziehe, da versetzen sie ihm im Moment des Scheiterns Tritt um Tritt, ihm, der doch eh schon am Boden liegt. Ich mach da nicht mit, ich beteilige mich nicht am Nachtreten auf einen Gescheiterten – ich war schon vorher gegen ihn.

Ich war schon immer der Ansicht, die Tatsache, daß Armin Laschet Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen geworden ist, muß ein Irrtum der Geschichte sein. Wir erinnern uns: Vor Laschet war Hannelore Kraft (SPD) Ministerpräsidentin, und sie war so beliebt, daß alle Meinungsbilder und Vorhersagen davon ausgingen, sie würde ihr Amt auch für eine zweite Amtsperiode behalten. Selbst in der CDU ging man vermutlich davon aus, weshalb man niemand Wichtigen an die Spitze stellte, um keinen Anwärter mit Charisma und Sachkenntnis zu „verbrennen“, den man zukünftig vielleicht nochmal für eine Kandidatur gebrauchen könnte. Dann passierte das Unerwartete: Hannelore Kraft vermittelte den Eindruck, als habe sie keine Lust mehr, machte einen halbherzigen Wahlkampf und leistete sich ein paar unpopuläre Eigenheiten (z.B. ging sie im Urlaub nicht ans Telefon und war selbst für ihre engsten Mitarbeiter nicht zu sprechen) – und wurde abgewählt. Vermutlich zu seinem eigenen Erstaunen, und auch dem seiner Partei, war Armin Laschet plötzlich Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes.

Der Philosoph Friedrich Hegel behauptete, die Geschichte sei in ihrem Verlauf trickreich, letztlich strebe sie aber immer zum Richtigen, er sprach von der „List der Vernunft“. Die Geschichte wird so quasi zur Person (Hegel nannte sie „Weltgeist“ oder „Weltseele“), die sich so oder so entscheiden kann, wie sie weiter verlaufen will, was letztlich nur zum Guten führen kann. Wenn das so ist, denke ich mir, dann kann sie sich ja vielleicht auch mal irren. Es gibt Beispiele: Als die Geschichte wollte, daß die CDU/CSU endlich mal wieder verliert, sorgte sie dafür, daß Alexander Dobrindt Verkehrsminister wird, damit jeder Wähler, jede Wählerin erkennt, was da für inkompetente Leute der Partei in obersten Ämtern sitzen. Hat nicht funktioniert, der Plan. Das Wahlvolk zeigte sich verblüffend ungerührt. Gut, euch werde ich es zeigen, dachte sich die Geschichte, setzte noch eins drauf und hob Andreas Scheuer, von dem man nicht weiß, ob er sich überhaupt die Schuhe allein zubinden kann, in das gleiche Amt: Wieder nichts! Zwei mal hat sich die Geschichte geirrt, aus beiden Amtsführungen hat sich gar nichts Gutes und Vernünftiges ergeben.

Und ein solcher geschichtlicher Irrtum ist Armin Laschet auch. Fatalerweise ist es in den Parteien üblich, nicht die Kompetentesten aus den eigenen Reihen für höhere Ämter zu bestimmen, sondern Gewinner, völlig unabhängig von der Ursache des Sieges. Vernünftigerweise hätte Armin Laschet niemals Ministerpräsident werden dürfen, aber da er nunmal gewonnen hatte, schien er für die eigenen Leute prädestiniert zu sein für das Kanzleramt. Man kann nur verwundert den Kopf schütteln, besonders, wenn man bedenkt, daß sein Gegenspieler Olaf Scholz auf die gleiche Art an seine Spietzenkandidatur gekommen ist: Gewonnene Wahlen in Hamburg unter seiner Ägide reichen aus für die Annahme: Super, der kann das, der macht das. Daß er nun nur wegen eines noch schlechter aussehenden Gegenkadidaten zum (mutmaßlichen) Gewinner dieser Wahl wird – Schwamm drüber, the winner takes it all! Wie blöd ist das?!

Oder ist die ganze Angelegenheit vielleicht eine der Listen der Vernunft? Die Geschichte will … hm … sie will … ich komm nicht drauf. Söder als Kanzler, in vier Jahren, weil Scholz es natürlich auch nicht hinkriegt? Das hätte sie doch schon jetzt haben können. Ich glaube, diese Theorie mit dem Weltgeist, der durch listreiche Verwicklungen in der Geschichte alles zum Besten führt, ist Unsinn. Die Geschichte ist nicht klüger oder dümmer als die, die sie machen, und das sind wir. Wenn die Geschichte vernünftig wäre und nach allem, was ich von Herrn Laschet weiß, dann hätte er eine Herren-„Butike“ in Wuppertal oder in Aachen und würde seinen Kunden Schlipse und Socken in der gleichen Farbe verkaufen, und auch eine Papstaudienz wäre nicht ausgeschlossen. Das wäre nicht nur gut für uns, sondern auch für ihn. Leider ist es anders gekommen.

Spaziergänge in Zeiten von Corona (14)

Eine Anticoronamaßnahmenkundgebung auf dem Heumarkt am Sonntag, dem 02. Mai, 15 Uhr. Vorn rechts im Bild singt gerade jemand ein Lied zur Gitarre. Was ist los – sind die Leute vernünftig geworden? Schön wär’s, allein, mir fehlt der Glaube.

Kontakt- und Alkoholverbot, Maskenpflicht – hält sich keiner dran. Die Polizei patroulliert, macht aber nichts. Mal abgesehen davon, daß sie wahrscheinlich nicht wüßte, mit wem sie anfangen sollte, halte ich ihr Verhalten für pragmatisch. Jüngst haben Aerosol-Experten bewiesen, daß man sich im Außenbereich nur selten ansteckt, wenn man nicht zu dicht aufeinanderhängt. Ich vermute, die Polizei schreitet nur ein, wenn irgendwo eine Party stattfindet oder die Ansammlung zu groß wird, und das ist dann ganz richtig so. Gegen diese kleinen Verstöße vorzugehen halte ich auch für Blödsinn.

Ich hab’s auch gern gemütlich, aber eine Zimmerpflanze in den Park schleppen? Gut, jeder, wie er will.

In letzter Zeit sieht man immer öfter Klamotten mit Gerippedarstellungen. Ob das eine Reaktion auf die aktuellen Geschehnisse ist?

Vermutlich nicht. Schon die Hells Angels hatten einen Totenkopf auf der Kutte. Das Motiv erreicht wahrscheinlich erst jetzt den Mainstream, ähnlich anderer subkultureller Codes. Das soll cool sein, und wenn es dann weit verbreitet ist, verschwindet es wieder.

Das unterschreibe ich sofort. Krankenhäuser, die Gewinne einfahren wollen und sollen, können nicht gesundheitsfördernd sein. Selbstverständlich sparen sie an den Leistungen und am Personal, alles andere wäre wirtschaftlich gedacht nicht vertretbar, die Gewinnmaximierung verlangt das einfach.
Und daß die Impfstoffe noch nicht patentfrei sind, ist ein Skandal, was eigentlich jedem klar sein muß, der nach Indien blickt.

Auf frisch geschüttelte (oder gerührte) Cocktails braucht man nicht zu verzichten. Es gibt sogar Erdbeerbowle.

Kaffee und Kuchen gibt es im Belgischen Viertel an jeder Ecke.

Habt ihr den großen Mond gesehen vor zwei Wochen? Hier ist er schon leicht angefressen, aber so abgedunkelt, daß ich ihn gut fotografieren konnte.

Spaziergänge in Zeiten von Corona (13)

Viele Restaurants und Kneipen sind geöffnet, aber nur to go: Man bestellt online oder direkt an der Tür, bekommt Gerichte und Getränke ausgehändigt und muß sich dann irgendwo einen Platz suchen, wo man das verzehrt – bei schönem Wetter hockt man sich halt irgendwo hin. Und was gibt es Leckeres?

Ah ja, lecker. Gibt’s auch was mit Schbienat?

Intimität auf anderthalb Meter? Schwer herzustellen …

… mit einem „Prince“ Abstand.

Das Gerippe als Allegorie des Todes – hier wartet man noch immer auf die Novemberhilfe, das ist bitter. Aber wenn die Hilfe kommt, von November bis jetzt, jeden Monat 75% des Vorjahresmonats, dann müßte man eigentlich gut über die Runden kommen, oder? Außer Miete kaum Ausgaben, kein Strom, kein Wareneinkauf, die Angestellten sind in Kurzarbeit. Und das scheint ja auch im Großen und Ganzen zu funktionieren, sonst wäre der Aufschrei sehr viel größer.

Worüber haben die Nachrichten eigentlich berichtet, bevor es Corona gab? Es macht einen mürbe, man möchte nur noch, daß es endlich vorbei ist. Die Politiker versuchen, eine Position zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Stimmung der Bevölkerung zu finden – und erwecken den Eindruck von Kopflosigkeit: Zum 8. März beschlossen die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidentenrunde Lockerungen, entgegen jedem Rat ernstzunehmender Experten: Aus dem „click and collect“, also dem Online-Bestellen und anschließendem Abholen von Waren an der Ladentür, wurde ein „click and meet“, was bedeutet, daß die Kunden nach Online-Anmeldungen in den Läden bummeln konnten. Nur wenn eine Inzidenz über 100 in drei Tagen erreicht sei, sollte eine „Notbremse“ wieder die vorherige Bestimmung einsetzen. In Köln war die Grenze sehr schnell überschritten, es vergingen drei Tage, vier Tage, fünf, sechs, sieben – und es passierte nichts. Solche Bilder konnte man lange in der Fußgängerzone beobachten:

Lange Schlangen, hier brauchten die Leute offenbar unbedingt neue Klamotten von ZARA.

Das „click and meet“ wurde recht eigenwillig ausgelegt: Man konnte sich auch vor Ort anmelden.
Erst zum 29. März, nach ständig steigenden Inzidenzzahlen, wurde die Regelung wieder zurückgenommen.

Kurz darauf, vor Ostern, stiegen die Temperaturen auf über 20 Grad, und man hatte Mühe, die Leute zur Einhaltung der Kontaktbeschränkungen zu bewegen. Ab 18 Uhr, am Wochenende sogar schon ab 15 Uhr, galt hier, an dem besonders für junge Leute beliebten Treffpunkt, Verweilverbot, weil sie sich einfach nicht an die Regeln halten wollten.
Die Inzidenzzahlen stiegen weiter. Seit dem 17. April gibt es in Köln eine Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr, eine Woche vor Einführung der „Bundesnotbremse“, die eine Augangssperre von 22 bis 5 Uhr vorschreibt ab einer Inzidenz von 100. Und anders, als nach dieser Regelung, darf man in Köln nicht allein bis 24 Uhr spazieren gehen, es sei denn, man hat einen Hund dabei. Neulich sah ich um 23 Uhr einen leicht alkoholisierten Mann singend unter meinem Fenster vorbeigehen und dachte: Sieh an, da laufen 250 Euro. So hoch ist das Bußgeld, wenn man erwischt wird.

Das wird vielfach ignoriert, weil es auch wirklich Blödsinn ist, wenn die Leute sich hier weniger in die Quere kommen als in engen Straßen, wo es keine Maskenpflicht gibt. Aber es wird auch kaum kontrolliert, soviel Personal hat die Stadt gar nicht.

In sämtlichen Grünanlagen der Stadt herrschen die Kontaktbeschränkungen – höchstens zwei Personen aus unterschiedlichen Haushalten – und Alkoholverbot. Bei schönem Wetter halten sich viele nicht daran, und es wird auch nicht kontrolliert. Die Inzidenz stieg auf über 250, aber aktuell sinkt der Wert. Ob es mit der nächtlichen Ausgangsbeschränkung zusammenhängt? Die Verwaltung möchte das gern so sehen, tatsächlich weiß das keiner.

Querdenker, aufgepaßt, hier ist ein neues Thema für euch, wenn Corona nichts mehr hergibt: „Wir lassen uns das Naßwerden nicht verbieten! Nieder mit der internationalen Regenschirmindustrie!“ Bill Gates soll Aktien von Knirps besitzen, und Amazon verdient Millionen am Verkauf. Wer im Regen einen Schirm aufspannt, gibt sich zu erkennen als untertäniger Apologet einer weltweiten Verschwörung gegen das Wasser, das vom Himmel fällt – also ein Gegner des Lebens schlechthin! Der Durchnäßte ist ein Widerstandskämpfer, der Schirm dagegen der neue Hitlergruß!

Alaaf …

Heute ist Weiberfastnacht und der Straßenkarneval beginnt – eigentlich. Nix mit Alaaf in diesem Jahr, also gibt es für mich und meine Begleiterin keinen Grund, nach Berlin zu flüchten. Schon seit Wochen werden die Kölner eingestimmt darauf, „brav“ zu sein, also nicht saufend und grölend durch die Straßen und Kneipen zu ziehen.

„Bald“ ist ein Begriff, denn man offenbar sogar auf ein Jahr in die Länge ziehen kann. Ich würde mich nicht wundern, wenn irgendjemand auf die Idee kommt, den Rosenmontag im Sommer nachzuholen.

Ganz selten sieht man jemanden, der verkleidet ist. Aber es ist wohl schwer, ganz mit dem Brauchtum zu brechen: Als ich um 14 Uhr in die Apotheke gehen wollte, war geschlossen, und Montag haben tatsächlich viele Betriebe ihren Angestellten frei gegeben … damit sie zu Hause eine Person aus einem anderen Haushalt treffen können? Und da schunkelt man dann zu zweit vorm Fernsehapparat? Gerade eben habe ich aus Versehen in die „Kölner Mädchensitzung“ im ZDF zur besten Sendezeit hineingezappt: Es gab einen Elferrat, eine Bigband und Karnevalsbelustiger, aber kein Publikum, stattdessen Applaus vom Band. Bizarr.

Auf dem Neumarkt ein paar verkleidete Ewiggestrige, die die Gelegenheit nutzen, gegen die Coronaeinschränkungen zu protestieren. Wochenlang jeden Tag bis zu 1000 Tote in Deutschland? Dat is uns doch ejal, mir wolle fiere! Im Hintergrund stehen mehr Polizisten, als Protestierer da sind, und passen auf.

Aber nur, wenn man es am Tag vorher gekauft hat: Ich beobachtete an der Kasse im Biosupermarkt eine Frau, die eine Flasche Wein kaufen wollte – keine Chance, heute ist wieder mal Alkoholverkaufsverbot in der ganzen Stadt. Man kann es auch übertreiben, oder?
Für Gastronomie und Bands ist der Lockdown zu Karneval besonders bitter, machen sie doch zu dieser Zeit normalerweise einen großen Teil ihres Jahresumsatzes. Wenn die Kneipen, wie versprochen, 75% ihres Umsatzes des Vorjahresmonats bekommen, wird man sich in Berlin vermutlich wundern, wieviel mehr sie an die Karnevalshochburgen überweisen müssen als im Januar.